Ein persönlicher Retreat-Rückblick von Christian H.
„Was hält mich davon ab, diesem Moment vollkommen zuzustimmen?“
„Jeder Moment ist eine Gelegenheit zu üben, loszulassen. Denn am Ende müssen wir sowieso alles loslassen.“
Vom 5. bis 9. März 2025 fand unser jährliches buddhistisches Winter-Retreat mit Stephan Pende Wormland in der Pension Schöcklblick bei der Familie Trattner statt. Dieser wunderschöne Ort ist für viele von uns über die Jahre wie eine zweite Heimat für unsere Praxis geworden.
Dieses Retreat war mit 30 Teilnehmenden bereits seit Oktober 2024 ausgebucht – ein schönes Zeichen für das wachsende Interesse und die Stabilität unserer Gruppe. Große Freude und Dankbarkeit darüber!
Besonders war in diesem Jahr, dass Stephan von seiner “frisch gebackenen” Ehefrau Kristina begleitet wurde. Die beiden reisten bereits einige Tage früher an, ihr Aufenthalt war dann auch das Hochzeitsgeschenk von unserer Gruppe… Die Begeisterung der beiden über unser Geschenk war spürbar und berührend… wir hatten damit das Gefühl, die Verbindung zu unserem Hauptlehrer zu vertiefen. (Am Retreat selbst hat Kristina dann aber nicht teilgenommen, weil sie kein Deutsch spricht)
Ein Retreat mit Fokus auf Stille und intensive Praxis
Im Vergleich zu früheren Jahren war dieses Retreat strukturell klarer, aber auch fordernder. Stephans Lehrpraxis ist sichtlich derzeit im Wandel… das macht es auch für uns spannend und frisch!
Die Meditationseinheiten waren länger, oft bis zu einer Stunde, während die Teachings von Stephan kürzer, aber gezielter waren. Der Morgen begann sehr früh um 6:30 Uhr mit einer halbstündigen Körper-Übungseinheit von Patrick, bevor wir uns in die Meditation begaben. Insgesamt stand weniger Input und mehr Praxis im Mittelpunkt.
Die ersten zwei Tage widmeten wir uns Shamatha-Meditation, einer konzentrativen Praxis, die den Geist stabilisiert. Die Aufmerksamkeit lag auf dem Atem – insbesondere auf der feinen Bewegung der Luft an den Nasenlöchern und der Oberlippe. Diese Methode, auch Ānāpāna genannt (sie geht zurück auf eine der frühesten Sutras/Teachings von Buddha), hilft, den Geist zu sammeln und zur Ruhe zu bringen.
An den letzten beiden Tagen wechselten wir zu Vipassana – der Einsichtsmeditation. Dabei geht es nicht einfach nur darum, Körperempfindungen zu registrieren, sondern sie direkt und unvermittelt zu erforschen. Die Praxis führt tief in die Wahrnehmung der Vergänglichkeit/Unbeständigkeit (Anicca), und der Nicht-Identität: keine Existenz hat ein festes, unveränderliches und unabhängiges Selbst (Anatta). Jede Empfindung ändert sich ständig und löst sich auf auf, wenn wir ihr mit Offenheit begegnen.
Es ist kein oberflächliches Scannen des Körpers, wie zum Beispiel beim Body-Scan, sondern eine Schulung der Wahrnehmung, die zu einem anderen Verständnis der eigenen Existenz führen kann.
Die Praxis des Annehmens – Ohne Widerstand im Moment sein.
Stefan ermutigte uns bei allen Gefühlen, Stimmungen und Aufregungen auf die Reaktionen im Körper zu achten. Wie fühlt sich das im Körper an? Was passiert in meinem Körper?
Eine zentrale Frage, die Stephan immer wieder stellte, lautete:
“Was hält mich davon ab, diesem Moment vollkommen zuzustimmen?”
Gerade in der Vipassana-Praxis zeigt sich oft ein Widerstand – gegen Unruhe, gegen Unwohlsein, gegen Schmerzen. Stephan forderte uns heraus, genau dort hinzuschauen:
• Was genau macht es unangenehm?
• Warum entsteht Widerstand?
• Was passiert, wenn ich es einfach lasse, wie es ist?
Diese Haltung des Gleichmuts (Upekkhā) bedeutet nicht, alles gleichgültig hinzunehmen, sondern eine offene und durchlässige Präsenz zu entwickeln. Nicht festhalten, nicht ablehnen – sondern einfach da sein.
Vipassana bedeutet in diesem Kontext, sich nicht mit den Phänomenen zu verstricken, sondern sie als fließende Energien zu erfahren.
Stephan sagte dazu:
“Wenn du lange genug hinsiehst, löst sich alles auf. Es kann sein, dass du dann alles nur mehr als sich ständig verändernde Energieströme wahrnimmst.
Diese Erfahrung kann sehr kraftvoll sein, weil sie das übliche Gefühl von „Ich“ und „Mein Körper“ in Frage stellt.
Meditation ist nicht etwas Starres, sondern ein persönlicher Prozess
Stephan betonte, dass es nicht die „eine richtige“ und auch keine Meditation gibt, die für jeden/jede passt:
“Jede Meditation ist wie ein Kunstwerk – individuell, einzigartig, lebendig.”
Er ermutigte uns, nicht starr an einer Technik festzuhalten, sondern offen zu bleiben und die eigene Praxis organisch wachsen zu lassen.
Auch die Natur war eine wichtige Unterstützung in der Praxis. Beim Gehen in der Stille oder beim bloßen Wahrnehmen der Umgebung wurde deutlich, wie sehr unsere eigene Geschwindigkeit oft unnötig hoch ist. Die Natur bewegt sich langsam – und hilft uns dabei, das auch zu tun. “ ein Stein denkt nur sehr sehr sehr langsam…”
Zweimal bei diesem Retreat haben wir eine kurze Wanderung gemacht, um bei einem wunderschönen Platz den Sonnenuntergang in Stille gemeinsam zu erleben.
Vipassana als tiefere Dimension – über Körper und Gedanken hinaus
Vipassana ist keine bloße Entspannungsmethode, sondern ein Werkzeug, um die Realität zu erforschen. Mit der Zeit zeigt sich, dass alle Empfindungen vergänglich sind, dass alles, was wahrgenommen wird, sich verändert und auflöst.
Stephan sprach auch über den Todesprozess als eine Praxis des Loslassens:
“Jeder Moment ist eine Gelegenheit zu üben, loszulassen. Denn am Ende müssen wir sowieso alles loslassen.”
Gemeinschaft und gelebte Praxis
Neben der meditativen Arbeit wurde auch deutlich, wie verbunden und engagiert unsere Gruppe ist. Es war inspirierend zu erleben, wie viel Unterstützung, Austausch und Verlässlichkeit in unserer Gemeinschaft steckt. Viele neue Teilnehmende sagten, dass sie sich sofort wohl und willkommen fühlten – etwas, das nicht selbstverständlich ist.
Christian H.